Weinbeerziege oder "Weinbeergoas"
Es war vor langer, langer Zeit, da lebte eine Ziege bei einem Bauern. Der Hof lag ganz am Rande eines kleinen Dorfes, nahe dem Wald. Und weil dem Bauern seine Kühe natürlich wichtiger waren, kümmerte sich eigentlich niemand so recht um die „Goaß“, außer beim Melken, denn der Ziegenkäse war hochgeschätzt.
Die Ziege nützte das weidlich aus und suchte ihre Gräser dort, wo sie ihr am besten schmeckten. Im Herbst war’s, zur Zeit der großen Reife, da trottete sie in den Wald hinein und gelangte zu einer recht tiefen, mit dichten wilden Reben bewachsene Mulde. Blätter und Trauben schmeckten vorzüglich, doch wie es halt bei Ziegen so ist, sie zertrat mit ihren scharfen Hufen mehr Trauben und Blattwerk als sie fraß. Zwei, drei Tage ging das so, dann gab es zwar in der Mulde nichts mehr zu fressen, dafür bedeckte ein trüber Saft den Boden. Und der schmeckte der Ziege noch viel Besser als das Blattwerk und Trauben.
Der Bauer wunderte sich nicht schlecht, als er zufällig seine Ziege vom Wald dem Hof zustreben sah. Sie ging recht unsicher und machte immer kleine Umwege, als hätte sie Mühe, den rechten Weg zu finden. Doch als sich das wiederholte, und das „Mähh, Mähh“ der Ziege immer fröhlicher zu klingen schien, beschloss er der Sache auf den Grund zu gehen. Er fand die Mulde, und weil die Ziege den trüben Saft so genussvoll schlürfte und sich danach mit ihrer rauen Zunge so zufrieden ums Maul fuhr, kostete er ebenfalls. Man kann heute nicht mehr genau sagen, ob damals der Bauer die Ziege oder die Ziege den Bauern nach Hause brachte. Es lässt sich auch nicht mehr mit Sicherheit feststellen, was lauter tönte – der Gesang des Bauern oder das „Mähhh“ der Ziege.
Der Bauer machte kein Geheimnis aus der Sache und bald waren alle Bewohner des Dorfes zur Verkostung des trüben Saftes bei der tiefen Mulde versammelt. Weil es allen so gut mundete, wurden Weingärten angelegt und bald trank man den edlen Tropfen. Die Ziege aber wurde fortan hoch geehrt und nach ihrer Übersiedlung in den Ziegenhimmel setzte man ihr auf Erden ein bleibendes Denkmal – d’ Weinbeergoaß.